Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

Raus aus den engen Wänden der Unterkunft

Während ihres zweimonatigen Aufenthalts in München lernte Céline Dutron als Ehrenamtliche bei ComIn die Arbeit in einer Flüchtlingsunterkunft im Norden von München kennen und übernahm dabei die Begleitung eines jungen Kongolesen im Rollstuhl. Sie hat ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin abgeschlossen und bereits für eine andere Hilfsorganisation einige Monate lang ein Projekt in Bangladesh betreut. Celine kommt ursprünglich aus dem frankophonen Teil Belgiens, lebt aber derzeit in der Schweiz.

Im Frühjahr 2005 war ich für zwei Monate nach München gekommen, um vormittags an einem Intensiv-Deutschunterricht in einer Kleingruppe teilzunehmen. In meiner Freizeit wollte ich mich gerne für Handicap International engagieren; dabei war es eine angenehme Überraschung für mich zu entdecken, dass Handicap International Deutschland ein Projekt in München gestartet hat.

Kurz nachdem ich zu ComIn gekommen war, lernte ich Patrick kennen, einen 15-jährigen Kongolesen aus der Demokratischen Republik Kongo. Seit seiner Geburt ist er an beiden Beinen gelähmt und hat durch die Bürgerkriegserfahrungen noch weitere psychische und körperliche Einschränkungen. Begleitet von seiner Schwester Sylvie lebt er in einer Flüchtlingsunterkunft in einem kleinen Zimmer von etwa zwölf Quadratmetern. Für Patricks Rollstuhl bleibt gerade eine schmale Durchfahrt zwischen hintereinander gestellten Schränken auf der einen Seite und Betten auf der anderen Seite. Die Unterkunft ist einigermaßen an Menschen mit Behinderungen angepasst, zumindest dieser eine Wohn-Container. In den Wintermonaten war Patricks Bewegungsfreiheit jedoch sehr eingeschränkt, denn im hohen Schnee war ein Durchkommen fast unmöglich.

Patricks Muttersprache ist Ingala; Französisch versteht er relativ gut, spricht es aber nur wenig. In der Schule lernt er seit sieben Monaten Deutsch. Um uns zu verständigen, haben wir eine Mischung aus Französisch, Deutsch und Gestensprache eingesetzt – und konnten auf diese Art und Weise gut kommunizieren. Patrick sprach wenig und lachte viel. Seine Schwester erzählte nach und nach einiges von der gemeinsamen Flucht und dem Leben hier; auch sie schien sich über meine Besuche zu freuen. Einige Trambahnstationen weiter besuchten Patrick und ich bald gemeinsam einen integrativen Jugendtreff, wo behinderte und nichtbehinderte Jugendliche, MigrantInnen und Deutsche gemeinsam ihre Freizeit gestalten können. Hinter den Vorhängen im Eingangsbereich spielten einige Jugendliche Mensch-ärgere-dich-nicht, ein Mädchen bestand gemeinsam mit Harry Potter virtuelle Abenteuer am Computer, eine andere Gruppe malte Mandalas aus, einige Jugendliche tranken etwas an der Theke und unterhielten sich mit den Betreuerinnen. Eine von ihnen zeigte Patrick die einzelnen Angebote und erzählte ihm, was in der nächsten Zeit geplant war.

Und so nahm Patrick in den Osterferien ohne Begleitung an einem gemeinsamen Besuch des Jugendtreffs im Rollpalast teil. Und erstmals fuhr er auch allein „nach Hause“ zurück, für Notfälle hatte er sein Handy. Ende März, als der Schnee geschmolzen war, besuchten wir zum Abschluss den Olympiapark. Gemeinsam fuhren wir auf den Olympiaturm, wo ich Patrick den Panoromablick von oben zeigen konnte – ein besonderes Erlebnis für einen jungen Flüchtling, der so selten aus den Wänden der Unterkunft herauskommt. Doch im Laufe der wenigen Wochen hat Patrick bereits Möglichkeiten für sich entdeckt, die er sich vielleicht nie hätte vorstellen können – und er kennt einen Jugendtreff in der Nähe, den er jetzt jederzeit selbständig aufsuchen kann.