Versorgung der Patienten auf der Straße
Das einzige Rehazentrum in der Provinzstadt Les Cayes ist stark beschädigt und droht einzustürzen. So müssen die Menschen auf der Straße versorgt werden. Noch immer kommen täglich rund 100 verletzte Menschen aus abgelegenen Regionen in die Stadt, in der Hoffnung Hilfe zu bekommen.
Die Teams von Handicap International müssen die Verletzten auf der Straße versorgen. | R. Crews/HI
In Les Cayes arbeiten wir mit unserer lokalen Partnerorganisation Fonten zusammen. Das Team hat alles, was es für die Behandlung braucht, aus dem Gebäude geholt und auf der Straße aufgebaut. Auf dem Bürgersteig werden die Patient*innen empfangen. Es geht nicht nur um eine orthopädische Behandlung, sondern auch um akute Wundversorgung, da die Menschen in den völlig überlasteten Krankenhäusern keinen Platz finden.
„Dies ist das einzige Rehabilitationszentrum hier, das physikalische Therapien, Beschäftigungstherapien und einen Prothesen- und Orthesen-Service anbietet. Wir nehmen fast 60 Patienten pro Tag auf, es besteht also ein großer Bedarf an Hilfe", sagt Consuelo Alzamora, die Leiterin des Reha-Zentrums von Fonten.
Menschen, die amputiert oder operiert werden mussten, benötigten unbedingt eine kontinuierliche Physiotherapie oder Prothesen.
Viele getötete und verletzte Kinder
„Wir sehen viele verletzte Kinder – das ist so traurig“, berichtet sie weiter. „Viele Kinder sind von herabfallenden Ziegelsteinen verletzt worden. Und es gibt auch viele Amputationen. Viele Kinder wurden verletzt, weil sie versucht haben, ein anderes Kind zu retten - ihren Bruder, ihre Schwester oder ihren Freund zum Beispiel. Das Schlimmste an dem Erdbeben ist die Zahl der Kinder, die gestorben sind. Fast jeder kennt ein Kind, das an diesem Tag gestorben ist. Es ist furchtbar."
Bei dem Erdbeben am 14. August sind über 2000 Menschen gestorben, über Zwölftausend sind verletzt, rund 130.000 obdachlos, viele traumatisiert.
Zahl der Verletzten noch gar nicht abschätzbar
Trotz der dramatischen Situation für viele Verletzte ist es aber auch wichtig, mit Bedacht vorzugehen:
„Die Leute denken oft, dass Notfallhilfe gleichbedeutend ist mit ‚sofort‘", sagt Virginie Duclos, Leiterin für Notfall-Therapie bei Handicap International. „Tausende sind durch das Erdbeben verletzt worden. Übereilte oder unsachgemäße Maßnahmen können die Situation leicht verschlimmern.“
Da zahlreiche Verwundete erst nach Tagen medizinisch versorgt werden können, sind oftmals schwerwiegende Schäden festzustellen. „Viele langfristige und nachhaltige Reha-Maßnahmen werden notwendig seien“, so Duclos. Auch sei noch nicht abschätzbar, wie viele Menschen Hilfe benötigten. Die Teams von HI unterrichten unterdessen lokale Physiotherapeut*innen und Reha-Spezialist*innen, um die vielen Verletzten mit Nothilfemaßnahmen zu versorgen.
Blockierte Zugänge
Die Menschen in dem vom Erdbeben zerstörten Gebieten sind weiterhin nur schwer zu erreichen. Wichtige Straßen und Häfen im Süden Haitis sind noch blockiert. Die Versorgung der Menschen verzögert sich.
„Der Zugang zu den betroffenen Gebieten ist derzeit ein großes Problem für unser Team und unsere Logistikabteilung Atlas Logistik", sagt Agathe Lo Presti, die Programmdirektorin von HI in Haiti.
Die Logistikteams sind dabei, die Trümmer so schnell wie möglich zu beseitigen und hoffen, die Straßen schnellstmöglich wieder öffnen zu können.
Material per Segelboot
Unsere Teams bauen derzeit eine Logistikplattform auf, um mit Schiffen über 760 Tonnen Lebensmittel und Hilfsgüter in die am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete zu liefern. HI bietet den einzigen Seetransport für humanitäre Hilfe im Südwesten von Haiti für Hilfsorganisationen an. Zum Einsatz kommt dabei die Expertise von Handicap International, die seit einem Jahr ein maritimes Logistikprojekt (MERLUH ) durchführt. Um in Krisen abgelegene Gebiete zu erreichen, hat Atlas Logistik in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation AQUADEV ein Projekt aufgebaut, um mit Segelbooten Material transportieren zu können.
Lieferung von Gehhilfen in der Region Cayes in Haiti. © Rawley Crews/HI
„Das Projekt MERLUH ist für viele NGOs die einzige Möglichkeit, Hilfsgüter auf dem Seeweg zu liefern“, erklärt Marvin Vidon, HI’s Logistik-Chef. „Wir kennen die Routen, Vorschriften und Sicherheitsmaßnahmen. Das spart Zeit und verringert das Risiko.“
Die Lieferungen von der Hauptstadt Port-au-Prince in die Provinzstadt Jeremie dauern je nach Windrichtung etwa 48 Stunden – dazu kommen eine Reihe von Schwierigkeiten wie Wetterlage, Sicherheit und Seeverkehrsvorschriften. Allerdings müssen dazu erst die Häfen gesichert werden, ehe die Schiffe eingesetzt werden können.