Hilfstransporte für Zivilbevölkerung in bombardierte Gebiete
Unsere Logistik-Expert*innen liefern wichtige humanitäre Güter für andere Hilfsorganisationen in schwer bombardierte und oftmals weitgehend zerstörte Städte, die nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt liegen. Nur unter großer Gefahr kann die Zivilbevölkerung mit Wasser und Lebensmitteln versorgt werden.
Schwierige Versorgung von Menschen in bombardierten Gebieten. | © Till Mayer / HI
In der Ostukraine ist die Unterstützung der Zivilbevölkerung, die nahe der Frontlinie ausharrt, für die humanitären Hilfsorganisationen eine große Herausforderung. Der Transport in die Konfliktgebiete ist für alle Beteiligten sehr gefährlich. Mit Förderung der Europäischen Union und des französischen Außenministeriums transportieren Logistik-Expert*innen von HI lebenswichtige Hilfsgüter von der Stadt Dnipro in Städte und Ortschaften, die im Zentrum des Konflikts liegen und nicht weiter als zwanzig Kilometer von der Frontlinie entfernt sind. Das Team der HI-Logistikplattform arbeitet im Rahmen einer globalen Partnerschaft mit den Organisationen Bioport und RLH Coop zusammen und hat bereits über 120 Transporte an die Frontlinie organisiert.
Gefährliche Lieferung nach Bakhmut
Anfang Juli erhielt Handicap International eine Transportanfrage der Organisation ‚Save the Children‘. Innerhalb von zwei Tagen sollten 10 Tonnen Wasser und Lebensmittel nach Bakhmut gebracht werden. Die Stadt befindet sich im Osten der Region Donezk, nur elf Kilometer von der Frontlinie entfernt. Vor dem Krieg hatte sie fast 80.000 Einwohner. Heute leben dort nur noch knapp 15.000 Menschen. Seit dem 25. Juni 2022 ist die Stadt Tag und Nacht Schauplatz intensiver Bombardierungen. In Bakhmut sind fast keine Geschäfte mehr geöffnet und das Trinkwassersystem wurde schwer beschädigt. Die Bewohner hatten ihre letzten Lebensmittel- und Wasservorräte aufgebraucht. Bakhmut wurde als "rote Zone" eingestuft. Am Tag nach der Hilfsanfrage wurde die Stadt neunmal bombardiert.
Humanitäre Hilfe: zu welchem Preis?
„Vor diesem Hintergrund stellte die Lieferung nach Bakhmut ein erhebliches Risiko für unsere Teams dar", sagt Bruno Michon, HI-Logistikmanager in der Ukraine. "Wir mussten jedoch die Entscheidung treffen, ob wir den Transport machen wollten oder nicht. Wie groß war der humanitäre Nutzen dieses Einsatzes im Vergleich zu dem Sicherheitsrisiko, das er für alle Beteiligten darstellte? Bakhmut war für uns unerreichbar. Wie konnten wir also die Güter zu den Bedürftigen bringen?" fragte sich Michon. Die Antwort kam von den Einwohner*innen von Bakhmut selbst und den Freiwilligen, die für die Entgegennahme der Hilfsgüter zuständig waren.
„Sie teilten uns mit, dass sie einen Lastwagen und ein paar Liter Treibstoff gefunden hatten. Die freiwilligen Helfer*innen schlugen vor, dass wir uns treffen sollten, um die Waren von einem Lastwagen auf den anderen umzuladen, das nannten sie den 'Kuss', der 10 Minuten von Bakhmut entfernt in Ivanivske stattfinden sollte. Wir akzeptierten ihren Vorschlag. Dieser "Kuss" musste jedoch auf die Minute genau geplant werden, ohne dass beim Ent- und Beladen der beiden Lastwagen Zeit verloren ging. Genau bei diesem Schritt sind die Teams am meisten gefährdet", so Michon.
Ein "Kuss" in Ivanivske
Am 12. Juli 2022 um 6:20 Uhr morgens verließ der HI-Fahrer Taras die Stadt Dnipro mit den Hilfsgütern. Um 09:40 Uhr erhielten die freiwilligen Helfer*innen von ‚Save The Children‘ in Bakhmut das Signal: Es ist soweit! Sie hatten nur 25 Minuten Zeit, um zum Treffpunkt in Ivanivske zu gelangen. Die Anspannung war groß, es gab keine Zeit zu verlieren. Um 10:05 Uhr parkten die beiden Lastwagen Rücken an Rücken und die Kisten wurden hektisch von einem zum anderen transportiert. Die Aktion dauerte nur wenige Minuten, ehe die beiden Lastwagen wieder in entgegengesetzter Richtung abfuhren. Dank logistischer Kompetenz und einer Kette der Solidarität konnten die Menschen mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln versorgen.